Rückläufige Entwicklung von Online-Befragungen
Doch gefühlt nehmen “Ihre Meinung ist uns wichtig”-PopUps zu!
Bin ich eigentlich allein mit dem Gefühl, dass mir auf jeder Website als erstes ein PopUp entgegenspringt – wahlweise mit der Aufforderung, jetzt gleich den Newsletter zu abonnieren oder der Bitte, mal kurz an einer wirklich nur ganz kurzen Umfrage teilzunehmen?
Die aktuellen “Zahlen zur Marktforschung“ vom ADM, dem Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V., bestätigen mein Gefühl – zumindest auf den ersten Blick – nicht:
Die Anzahl an Befragungen hat sich seit 1990 von unter fünf Millionen Interviews bis zum Jahr 2016 mehr als vervierfacht. Die Ursachen hierfür lagen zunächst in der steigenden Bedeutung des Computers in Kombination mit dem Telefon als Interviewmethode. Die so genannten CATI-Studien (Computer Assisted Telephone Interviews) entwickelten sich schnell und lösten erstmals 1998 die persönlichen Paper-Pencil-Interviews als Methode der Wahl ab.
Im gleichen Jahr wurde erstmals die Anzahl der Online-Interviews in der Statistik des ADM ausgewiesen. Das Internet veränderte das Mediennutzungsverhalten so weitreichend, dass sich browserbasierte Online-Interviews aufgrund ihrer schnellen und häufig kostengünstigeren Durchführung als weitere Erhebungsform für viele Fragestellungen etablierten. Im Jahr 2010 wies die Statistik des ADM erstmals mehr browserbasierte Online-Interviews als CAT-Interviews aus.
Online-Befragungen sind Wachstumsmotor der Branche
Die Aufbereitung der Zahlen als Grafik zeigt aus meiner Sicht eindrücklich, dass neue Methoden wie zunächst CATI und später Online-Befragungen die anderen Methoden keinesfalls verdrängt haben, sondern vielmehr der Motor für das Wachstum der Branche sind: von anfangs knapp über 100.000 entwickelte sich die Anzahl der Online-Interviews der ADM-Institute auf über sieben Millionen im besagten Jahr 2010, und hatte ihren Höhepunkt – genau wie die Summe aller dem ADM gemeldeten Interviews – im Boomjahr 2011. Übrigens hatten in 2011 auch die Paper-Pencil-Befragungen ihren zweithöchsten Wert in der Zeitreihe. Riplsches Gesetz par excellence.
Seitdem tut sich einiges in der digitalen Welt und die Digitale Transformation macht auch vor der Marktforschungsbranche nicht Halt. Im Vorwort des ADM-Jahresberichts 2015 heißt es:
Im Jahr 2015 haben sich die Trends der letzten Jahre fortgesetzt und beschleunigt: Digitale Transformation mit entsprechend neuen Methoden, Big Data mit neuen Chancen, Herausforderungen und Risiken, mobiles „anytime, anywhere, anything“, weiter steigende Probleme mit der Kooperationsbereitschaft der Zielpersonen im Allgemeinen und der Response Rate im Besonderen.
Digitale Transformation macht auch vor Marktforschungsbranche nicht Halt
Das sehe ich ganz genau so. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir anzuschauen, ob die sinkenden Responseraten von Online-Befragungen sich bereits in den veröffentlichten ADM-Zahlen dazu widerspiegeln und habe auch diese Zahlen des ADM von 2015 und 2016 grafisch aufbereitet:
Der Vergleich zeigt erstmals einen deutlichen Rückgang von Online-Interviews – und zwar um knapp eine Million Interviews!
Was ist da los?
OnSite-Befragungen sind der eigentliche Verlierer
Die vermeintliche Krise bzw. das Minus um 13 Prozent im Vorjahresvergleich scheint auf den ersten Blick in erster Linie eine Krise der Online-Access-Panels zu sein, deren Anzahl durchgeführter Interviews um 17 Prozent (d.h über 900.000!) zurückging. Ein zweiter Blick auf die relativen Veränderungen zeigt jedoch, dass der eigentliche Verlierer die Onsite-Befragungen sind: Eine Umrechnung der ausgewiesenen Prozentanteile laut ADM zeigen einen Rückgang von fast einer Million Website-Interviews von 2015 zu 2016 – die Anzahl hat sich binnen eines Jahres fast halbiert!
Kundenbefragungen verdreifachen sich
Es gibt aber auch einen großen Sieger beim Vergleich der beiden Jahre: die aus Kundenlisten / Community rekrutierten Online-Interviews. von 355.000 sind diese auf rund eine Million angestiegen. Ein Anstieg um 182 Prozent!
Meiner Interpretation dieses Zuwachses nach ist er durch den Paradigmenwechsel im Marketing begründet: Der Dialog mit den (Bestands-)Kunden auf Augenhöhe gewinnt an Bedeutung, Kunden werden als Partner in der Innovationsentwicklung betrachtet und gestalten ihre Marken-Beziehung mit statt sie sich von der Marke über Push-Botschaften diktieren zu lassen. Die Marktforschung hilft hier mit Ansätzen, Kunden-Communities aufzubauen und Kunden über Kanäle wie E-Mail und Newsletter direkt und häufig persönlich anzusprechen.
Halten wir fest: Kundenbefragungen sind die deutlichen Gewinner der Online-Befragungsmethoden trotz massiven Rückgangs der Online-Interviews über Access-Panels und auf der Website. Doch woher kommt mein gegenteiliger Eindruck, dass kaum eine meiner Internet-Sessions nicht von einer Einladung zu einer kurzen Umfrage oder der Aufforderung, meinen letzten Einkauf zu bewerten unterbrochen wird?
Der massive Zuwachs von Umfrage-PopUps ist real
Der gefühlte massive Anstieg von Unterbrecher-PopUps (oder technisch: Layern) ist aus meiner Sicht trotz der ADM-Zahlen ganz real. Denn die Absender, die diese Befragungen auf ihre Websitebesucher “loslassen”, sind sehr häufig keine Marktforschungsintitute, sondern die neuen Player der digitalen Revolution: Vor allem AdTechnology-Anbieter, die cookiebasierte Verhaltensdaten mit Befragungsprofilen anreichern, um die Menschen vermeintlich besser mit relevanterer Werbung ansprechen zu können (vgl. unseren Artikel, dass zwei Drittel der User solche Re-Targeting-Werbung unpassend finden). Bei Response-Raten im Promille-Bereich, dem massiven Cookie-Löschverhalten der User und der gleichzeitigen Big-Data-Sammel-Mentalität sind Milliarden solcher PopUp-Einladungen notwendig, um eine ausreichende Masse an soziodemografischen Profildaten zu erhalten, die ein qualitativ hochwertiges Targeting dieser Zielgruppen ermöglichen.
Dazu kommen Umfragen, die zwar in die Kategorie Websitebefragungen fallen, jedoch nicht über Marktforschungsinstitute des ADM beauftragt wurden. In Form von “Feedback-Laschen” am Seitenrand oder PopUp-Einladungsvorlagen werden diese Websiteumfragen seitens der Unternehmen mit Hilfe von Self-Service-Softwarelösungen selbst programmiert und auf ihren Websites ausgespielt.
Rückgang von Responseraten als Chance begreifen
Für die User sind diese unterschiedlichen Formen der Aufforderung, ihre knappe Aufmerksamkeit und Zeit mit der Beantwortung von (Um-)Fragen zu verbringen, kaum zu unterscheiden. In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie ist es vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass die Responseraten für nicht incentivierte Umfragen sinken. Ich hoffe, dass der bisherige Lösungsweg, einfach weiter die Menge der ausgespielten Einladungen hochzuschrauben – frei nach dem Motto “viel hilft viel!”, es sind ja ausreichend Impressions vorhanden – durch ein baldiges Umdenken zu Gunsten der User ersetzt wird. Ansonsten ist es kein Wunder, dass die AdBlocker-Verbreitung und die Aversion gegen alle störenden Elemente in die Höhe schnellen. Wie wäre es stattdessen mit Customer First?
Ich glaube, der Rückgang der Responseraten dieser Form von Unterbrecher-Umfragen ist eine Chance für die Marktforschungsbranche. Sie kann durch die Besinnung auf ihre ureigenen Stärken wie Qualität von Umfragen, Ethik und Schutz der Interessen des Befragten punkten und tut es bereits: Marktforschungsinstitute haben verstanden, dass bestehende Kundenbeziehungen durch gute Umfragen und Einbeziehung der Early Adapters in marktforschungsbegleitete Kunden-Communities noch besser und erfolgreicher werden. Während diejenigen, die (Noch-Nicht-)Kunden mit mehr und mehr störenden und nicht-incentivierten Feedbackaufforderungen behelligen auf lange Sicht das Gegenteilige bewirken.
Über die Autorin: Dr. Sandra Gärtner ist freiberufliche Markt- und Mediaforscherin mit “grüner Seele” und Mitgründerin des Marktforschungs- und Technologiedienstleisters GreenAdz aus Hamburg. Die CUSTOMER EXPERIENCE und RESPEKT stehen bei dem nachhaltigen Rekrutierungs- und Incentivierungsansatz im Vordergrund. Wertschätzender als klassische PopUp-Befragungseinladungen rekrutiert GreenAdz die Teilnehmer unaufdringlich an digitalen Touchpoints eingebunden und incentiviert jeden Befragten grundsätzlich mit einer BAUMSPENDE, die den Auftraggeber 1,-€ kostet, aber sehr viel mehr Freude, Response und eine bessere Ergebnisqualität bewirkt.
Über den ADM: Der ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen der privatwirtschaftlichen Markt- und Sozialforschungsinstitute in Deutschland. […] Zurzeit gehören ihm 73 Institute an, die im Jahr 2015 zusammen rund 84 Prozent des Branchenumsatzes erzielten. (Quelle: Jahresbericht 2015, S. 2).
Der Jahresbericht 2016 lag zum Veröffentlichungsdatum dieses Beitrags noch nicht als PDF-Download vor.